Stoffliche Medizinprodukte werden oftmals im pharmazeutischen Umfeld hergestellt, das sich nach den sehr detaillierten Anforderungen der Pharma Good Manufaturing Practice (GMP) ausrichtet. Produkt- und Prozessrisiken sind hier vielfach durch diese präzisen Vorgaben abgedeckt. Qualitätsrisikomanagement ist ebenfalls Bestandteil der GMP-Anforderungen. Es hat jedoch nicht die zentrale Rolle, die Risikomanagement für Medizinprodukte darstellt.
Wir blicken deshalb auf einige wesentliche Anforderungen mit denen sich Hersteller stofflicher Medizinprodukte auseinander setzten sollten – und das nicht erst Anfang 2020.
Die MDR ist in ihrer Aussage eindeutig: Art. 10 über die „Pflichten der Hersteller“ fordert von diesen ein Risikomanagementsystem gemäß den Grundlegenden Leistungs- und Sicherheitsanforderungen nach Anhang I, Abschnitt 3. Dort wird präzisiert was unter Risikomanagement zu verstehen ist:
„Das Risikomanagement ist als kontinuierlicher iterativer Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu verstehen, der eine regelmäßige systematische Aktualisierung erfordert.“
Risikomanagement begleitet ein Medizinprodukt schon in der Entwicklungsphase. Dass zu Beginn einer Produktentwicklung viele Fragen offen sind, ist hierbei kein Grund Risikomanagement noch nicht einzusetzen. Der vorgesehene iterative Prozess dient eben genau dazu, mit fortschreitender Erarbeitung der Entwicklungsaufgaben auch die möglichen Risiken eines Produktes zu ermitteln und diese so weit wie möglich zu reduzieren.
Die MDR präzisiert hier in Anhang I, Abschnitt 4 die Anforderungen an das Produktdesign. Zur Minimierung von Risiken muss der Hersteller in der nachstehenden Rangfolge vorgehen:
„a) die Risiken durch sichere Auslegung und Herstellung beseitigen oder so weit wie möglich minimieren,
b) gegebenenfalls angemessene Schutzmaßnahmen, soweit erforderlich einschließlich Alarmvorrichtungen, im Hinblick auf nicht auszuschließende Risiken ergreifen und
c) Sicherheitsinformationen (Warnungen, Vorsichtshinweise, Kontraindikationen) sowie gegebenenfalls Schulungen für Anwender bereitstellen.“
Diese Anforderungen der inhärenten Sicherheit sind nicht neu, sie waren auch bereits in der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG vorgegeben. Neu ist allerdings, dass die Anwendung dieses Prinzips auch im Risikomanagement zu betrachten und zu belegen ist.
Medizinprodukte müssen nach definierten Vorgaben wiederholbar zu produzieren sein. Die erforderlichen Herstellprozesse sind festzulegen und, soweit erforderlich, zu validieren. Prüfungen der Herstellprozesse wie auch des fertigen Medizinproduktes sind vorzunehmen. Nichts Neues für eine Produktion im Pharmaumfeld. Nicht neu für stoffliche Medizinprodukte ist auch, dass diese Prozesse im Risikomanagement zu bewerten sind. Risikomanagement wird mit der MDR jedoch „engmaschiger“, insbesondere wird jetzt auch der Nachweis gefordert, dass jedes Einzelrisiko soweit wie möglich zu reduzieren ist.
MDR, Anhang I, Abschnitt 4:
Zwecks Risikosenkung zielt das Risikomanagement der Hersteller darauf ab, dass sowohl das mit jeder einzelnen Gefährdung verbundene Restrisiko als auch das Gesamtrestrisiko als akzeptabel eingestuft werden.
Für Risikoanalysen, die eher oberflächig gestaltet sind, ergibt sich hier die Aufgabe, den zukünftig geforderten Detailierungsgrad herzustellen.
Für die Phase nach Inverkehrbringen fordert die MDR jetzt das „System des Herstellers für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen“. Der im Deutschen etwas sperrige Begriff wird auch gerne abgekürzt PMS genannt, abgeleitet aus „Post Market Surveillance“.
Artikel 83 der MDR definiert das PMS und benennt in Absatz 3, welchen Zwecken dieses System dient. Gleich als erster Unterpunkt wird genannt:
Aktualisierung der Nutzen-Risiko-Abwägung und Verbesserung des Risikomanagements.
Ein regelmäßiger Abgleich von Daten, die im PMS erhoben werden, mit dem bestehenden Risikomanagement ist daher in Zukunft erforderlich. Eine bereits bestehende, ggf. eher punktuell und statisch aufgebaute Risikomanagement-Akte wird sich in ein dynamisches und lebendes Risikomanagementsystem entwickeln müssen.
Ohne Zweifel werden die Anforderungen der MDR zum Risikomanagement einen Mehraufwand darstellen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Präzisierungen der Prozesse des Risikomanagements und einen damit verbundenen Mehraufwand an Dokumentation. Die Tätigkeiten waren bisher vielfach „best practice“, werden nun aber verpflichtend. Der notwendige Implementierungsaufwand für eine Upgrade des Risikomanagements wird hier ganz entscheidend davon abhängen, inwieweit das bestehende System bereits „best practice“ ist. Es sei hier auch erwähnt, dass die korrespondierende Norm zum Risikomanagement für Medizinprodukte, die ISO 14971, sich in der Überarbeitung befindet. Die bisherigen Informationen dazu sind: Keine wesentlichen Änderungen, aber Präzisierungen. Eine Vereinheitlichung der Vorgaben auf dem Niveau der MDR zeichnet sich ab.
Bleibt die Frage: Welchen Nutzen kann ein Hersteller stofflicher Medizinprodukte aus den erhöhten Anforderungen ziehen?
Die MDR berücksichtigt in ihren Vorgaben bereits den derzeit stattfindenden Prozess zur globalen Vereinheitlichung der Medizinprodukte-Regelungen. Firmen, die den Vertrieb stofflicher Medizinprodukte über die Grenzen der EU hinaus erweitern wollen, werden von der Umsetzung der MDR-Anforderungen profitieren. Ein detailliertes Risikomanagement mit nachvollziehbaren Abläufen und Bewertungen wird hier Registrierungen und Zulassungen in anderen Teilen der Welt ermöglichen. Auch intern können Firmen profitieren. Wer nicht nur auf den vor sich liegenden „Implementierungsberg“ blickt, sondern überlegt, wie er hinter diesem Berg weiter wachsen möchte, wird auch die eigenen Prozesse auf den Prüfstand stellen. Und es kann durchaus sein, dass Optimierungspotenziale entdeckt werden, die dann auch die wirtschaftlichen Chancen stofflicher Medizinprodukte vergrößern.
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